Sonntag, 9. Mai 2010

Information zur Entschliessung des EU-Parlaments vom 05.05.2010 zur Änderung der MwStSysRL

Das EU-Parlament billigte den vorgelegten Vorschlag der EU-Kommission, allerdings nur mit Änderungen. Die zwei für die deutsche Wirtschaft wesentlichen Änderungen am Vorschlag sind:

1. Erweiterung der sog. Ist-Versteuerung auf KMU (in Deutschland ist das bereits in § 20 UStG antizipiert). Ergänzend dazu als fakultative Möglichkeit eine Erlaubnis an die Mitgliedsländer, die Berechtigung zum Vorsteuer-Abzug von der Bezahlung der Rechnung abhängig zu machen (Ist-Versteuerung bei VSt-Abzug).

2. Ersatzlose Streichung der Artikel 233, 234 und 235 der MwStSysRL.
Insbesondere Punkt 2 war in den letzten 2 Jahren ein stark umstrittenes Thema. Die MwStSysRL und der Richtlinie folgend die Mitgliedsländer fordern in den jeweiligen Umsatzsteuergesetzen Belegsicherheit bei elektronischen Rechnungen. In Deutschland wird das in § 14 Abs. 3 UStG durch die Forderung nach qualifizierter elektronischer Signatur der Rechnung verlangt und zugleich verbunden mit der Signatur-Prüfung durch den Rechnungsempfänger(Dokumentensicherheit). Als alternatives Verfahren der Belegsicherheit ist das EDI-Verfahren erlaubt (Prozesssicherheit).

Die EU beklagt schon seit langem die nur zögerliche Nutzung der elektronischen Rechnung. Sie macht als Ursache dafür die uneinheitlichen Signaturvorschriften in den Mitgliedsstaaten aus. Sie beklagt, gemeinsam mit den Wirtschaftsverbänden die angeblich zu hohe Komplexität der Signaturanforderungen. Ausserdem sieht sie eine bestehende, nur durch Änderung der MwStSysRL zu beseitigende Ungleichbehandlung von Papierrechnungen und elektronischen Rechnungen.

In der deutschen Wirtschaft sind es vor allem grosse, grenzüberschreitend tätige Unternehmen, die sich durch in den Mitgliedsländern unterschiedliche Vorgaben zur Rechnungserarbeitung, -stellung, -übermittlung/ -präsentation und die anschliessenden Folgeverarbeitungen sowie die unterschiedlichen gesetzlichen Vorgaben für Wirtschaftsprüfung und steuerlicher Betriebsprüfung in ihrem Geschäft behindert sehen. Diese beklagen auch die Restriktionen, die sie bei der Schaffung von Zentralbuchhaltungen, die sie nicht unbedingt am Sitz der Konzernmutter allokieren wollen, beeinträchtigt.

Die EU-Kommission erteilte 2008 der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft PriceWaterhouseCoopers den Auftrag, Änderungsvorschläge der MwStSysRL zu erarbeiten. Gleichzeitig berief die EU-Kommission eine Expertengruppe von 30 Personen, die die Änderungsvorschläge validieren und in einem Final Report zur Beschlussfassung vorlegen sollte. Der Final Report wurde im November 2009 veröffentlicht.
Schon mit Bekanntgabe der Vorschläge von PwC wurden die vorgelegten Änderungsvorschläge streitig diskutiert. Die Befürworter sahen darin die erstrebte Gleichbehandlung von Papierrechnung und elektronischer Rechnung sowie einen deutlichen Abbau von Bürokratiekosten. Die Gegner sahen darin genau das Gegenteil. Sie fürchteten eine Verkomplizierung der Vorschriften sowie eine Überforderung der KMU durch die aus den Änderungsvorschlägen zu entnehmende hohe Komplexität bei der Herstellung von Prozesssicherheit. Der Final Report heizte die Diskussion weiter an.
Hintergrund der Auseinandersetzung war die beabsichtigte Abschaffung der Dokumentensicherheit (Signaturlösung) und deren Ersatz durch Prozesssicherheit (wie die zu schaffen sei, wäre den Untenehmen überlassen gewesen). Die Sicherheit der Belege sollte durch eine in den Vorschlägen nicht näher benannte, noch zu schaffende Prüfinstitution herbeigeprüft werden.

Nun hat das EU-Parlament beschlossen, die Änderungsvorschläge der Expert Group aus dem Final Report nicht weiter zu verfolgen, sondern statt dessen die Artikel 233 – 235 ersatzlos zu streichen. Das ist sicherlich ein möglicher Kompromiss. Wird er von der EU-Kommision und in der Folge dann von den Mitgliedsländern so umgesetzt, hat das in Deutschland Folgen:

• Es kommt zu einer Vereinheitlichung der Regeln für den innergemeinschaftlichen Handel.

• Papierrechnung und elektronische Rechnung unterliegen den gleichen „Beweisregeln“. Es gibt dann keine Unterschiede in den Formalitäten mehr. Artikel 232 bleibt ja bestehen, und damit bleiben papiergebundener und elektronischer Rechnungsaustausch wahlfrei erhalten.

• Die Mitgliedsländer dürfen im Rechnungsaustauschverfahren keine Methoden zur Belegsicherheit vorschreiben. Der § 14 Abs. 3 UStG wäre damit bis zum 31.12.2012 zu ändern. Es wird allerdings keine „Unendliche Freiheit der Meere“ geben. Die Schaffung von Belegsicherheit wird methodisch den Unternehmen überlassen. Die Sicherungsverfahren müssen dabei ihren Zweck erfüllen. Dazu sind sie präzise und nachvollziehbar zu beschreiben. Die EU erhöht damit den Druck auf die Unternehmen, Verfahrensdokumentationen, wie sie schon seit 1995 gefordert werden, zu erstellen und für Prüfungszwecke bereit zu halten. Sie verstärkt auch die Forderung an Wirtschaftsprüfung und steuerliche Betriebsprüfung, dieses Dokument nun endlich in die Prüfungshandlungen einzubeziehen.

• Das Postulat der Gleichbehandlung der Papierrechnung mit der elektronischen Rechnung führt dazu, sich auf den Ursprung der Forderung nach „durch einen sachverständigen Dritten in angemessener Zeit nachvollziehbaren Buchführung“ zu besinnen. Der audit trail beginnt beim Beleg und endet im Jahresabschluss und vice versa (progressive oder retrograde Prüfung), und dabei unter Einbezug aller Nebenbücher. Es gilt der Grundsatz: keine Buchung ohne –bei Papier: materialisierten- Beleg.

Bei Papierrechnungen und Papierarchiven ist der audit trail Augenscheinnahme.

Bei der elektronischen Rechnung ist der audit trail stichprobenweiser Nachvollzug der etablierten Rechnungsbearbeitungs-Prozesse, also beim Rechnungssteller die Prüfung nicht materialisierter Dokumente; Rechnungserstellung , -buchung, -übermittlung/ -präsentation, -Nachbearbeitung, ggf. Disput, Zahlungseingang, ggf. Mahnwesen und weitere nachgelagerte Prozesse; beim Rechnungsempfänger sind das Rechnungsannahme, -prüfung, -transport, ggf. –disput, -freigabe, -zahlung und nachgelagerte Prozesse.

Zum Zweck der Herstellung und Aufrechterhaltung der Nachvollziehbarkeit einer elektronischen Rechnungsstellung und –verarbeitung sind alle wohlkonstruierten und mit einer Verfahrensdokumentation versehenen Verfahren erlaubt. Die Mitgliedsländer dürfen ab 01.01.2013 keine Methoden mehr vorschreiben. Damit bleibt die elektronische Signatur als Mittel der Belegsicherung in der Form der Dokumentensicherheit erlaubt.

Durch das Verbot der Methodenvorgabe wird aber auch die umsatzsteuergesetzliche Vorgabe einer qualifizierten elektronischen Signatur entfallen. Dann wären auch fortgeschrittene Signaturen, die ja nur auf einem bilateralen Vertrauen fussen, erlaubt. Die qualifizierte elektronische Signatur mit ihrer systemischen und durch das Signaturgesetz gefestigten nationalen Vertrauensinfrastruktur bliebe zwar erlaubt und dürfte gerade für KMU das Mittel der Wahl sein. Es ist aber nicht auszuschliessen, dass es in der deutschen Wirtschaft zu einer nicht mehr überschaubaren Anzahl unterschiedlicher Methoden der Belegsicherheit kommen wird. Die Prüfbarkeit der Unterlagen und der Buchführung mag dabei individuell erhalten bleiben; der Prüfungsaufwand jedoch steigt sicher durch den Einarbeitungsaufwand der Prüfer.

Festzuhalten bleibt, dass die Belegsicherheit wahlfrei in den Grenzen von Dokumentensicherheit oder Prozesssicherheit gestaltet werden kann. Die Belegsicherheit wird sich nach den Beweisregeln zur Nichtabstreitbarkeit (non-repudiation) hin entwickeln. Dokumentensicherheit wird dann geprüft nach den Kriterien von Integrität und Authentizität. Diese Stichworte finden sich zwar nicht mehr im Änderungsvorschlag, sind aber Teil der Beweisregeln zur Nachvollziehbarkeit von Beleg und Buchführung. Prozesssicherheit ergibt sich aus der Prozessgestaltung, deren Beschreibung, dem Vergleich mit den Regeln des individuellen „internen Kontrollsystems“ auf ihre Einhaltung, der Überprüfung der Regeln der Aufbewahrung auf Schutz der Dokumente vor Veränderung, Verfälschung, Löschung, Manipulation oder Unterdrückung. Die Verfahren zur Prozesssicherheit sollen nach dem Willen des EU-Parlaments gerade nicht standardisiert werden. Das macht ihre Anwendung sehr individuell, schafft aber erst in der nächstkommenden Prüfung (Wirtschaftsprüfung oder steuerliche Betriebsprüfung) und damit möglicherweise erst Jahre später für das einzelne Unternehmen positive oder negative Rechtssicherheit.

Zwar soll auch der Artikel 234 MwStSysRL gestrichen werden. Die Hinweise und Anregungen der Expertengruppe zur Herstellung von Prozesssicherheit werden damit aber nicht entwertet, sondern sie beschreiben genau die Voraussetzungen, unter denen eine dann von allen Prüfern und Behörden EU-weit anzuerkennende Prozesssicherheit gegeben ist. In Kurzform: Das Unternehmen, das sich an die Regeln der GoBS und demnächst an die Regeln der den GoBS nachfolgenden GoBIT hält und dabei die Hinweise der Expertengruppe zu Artikel 234 MwStSysRL aus deren Final Report beachtet, ist „auf der sicheren Seite“.
Das EU-Parlament schlägt einige weitere, nicht so gravierende Änderungen vor:

• Verkürzung der Aufbewahrungsfrist auf 5 Jahre, die Mitgliedsländer dürfen längere Aufbewahrungsfristen verlangen.

• Es werden neue Standards für reverse charge definiert. Die betreffen die Rechte zur Rechnungsstellung, insbesondere zum Recht der Steuerschuldnerschaft bei Leistungen von Unternehmen ausserhalb der EU oder bei Leistungen an Unternehmen ausserhalb der EU.

Abschliessend bleibt darauf hinzuweisen, dass die qualifizierte elektronische Signatur in D in ca. 2.000 Gesetzen verankert ist. Eine Änderung der MwStSysRL würde daran nur hinsichtlich der umsatzsteuerlichen Regeln etwas ändern. Zivilrecht und Ertragssteuerrecht bleiben davon unberührt.

Es bleibt nun abzuwarten, wie die EU-Kommission auf die Vorgaben des EU-Parlaments reagiert. Damit liegt das Thema wieder bei der Politik und bei den Unternehmensverbänden. Es bleibt also spannend und die Zeitspanne bis zum 31.12.2012 ist reichlich kurz.